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Immersiv Gebären - Eintauchen in die Geburt

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Das Projekt

Inwiefern ist das körperliche Ereignis Geburt eine immersive Grenzerfahrung und welche Rolle kann hier das Konzept Hypnobirthing übernehmen?

Gebären würden die meisten Gebärenden wohl als schmerzhaft bis extrem schmerzhaft beschreiben. Gleichzeitig ist eine Form des Entspannens und Loslassens essenziell – schließlich ist der Prozess des ,sich-öffnens‘ die physiologische Grundlage für die Geburt.

Die Verbindung von physiologischem Schmerz und Entspannung erscheinen mir hier in Betracht auf immersive Erfahrungen als eine absolute Besonderheit. Geburt ist eine körperlich-sinnliche Erfahrung und somit in einer eher körperfernen, rational-fokussierten Gesellschaft eine besondere Herausforderung. Eine Copingstrategie für die Extremsituation Geburt ist die Anwendung des sogenannten HypnoBirthings.

Für Viele mag die Begriffskombination verwirrend sein, wird Geburt doch mit Schmerzen assoziiert und ist somit weit entfernt von einem hypnotischen Zustand. Bei genauerer Betrachtung ist die Verbindung jedoch alles andere als abwegig: es zählt einzig der Moment. Kein davor oder danach, eine Wehe nach der anderen gilt es zu meistern und diese anzunehmen, mit dem Körper zu arbeiten, sich einzulassen, oder immersiv gesprochen: einzutauchen in den Rauschzustand der fordernden Geburtsarbeit. Nicht um sonst heißen Wehen im englischen Labor.
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Hypnobirthing soll innerhalb dieses Projekts als eine Herangehensweise betrachtet werden, mit Hilfe derer Gebärende versuchen sich während der Geburt in einen Trancezustand zu versetzten, der ein Eintauchen in die Grenzerfahrung Geburt ermöglichen. Geburt an sich kann – auch ohne das Konzept HypnoBirthing – eine immersive Erfahrung sein, ein Pendeln zwischen Kontrolle und Fallen-lassen, zwischen höchster Konzentration und Tiefenentspannung. Das Konzept HypnoBirthing wird innerhalb dieser Arbeit jedoch explizit in den Blick genommen, da es sich besonders auf das Eintauchen in den Trancezustand fokussiert. Gebären als ein immersives Eintauchen in einen aktiven Transformationsprozess: nicht nur das Kind, auch die Mutter wird hier geboren.

Wie begegnet das Konzept des HypnoBirthing dem Geburtsprozess, was verspricht es und kann es das halten?

Sind die Gebärenden Frauen hypnotisiert? Kann man hierdurch schmerzfrei Gebären? Vorweggenommen: nein und jein, doch hierzu später mehr.

Es stellt sich also die Frage: Was genau ist unter dem Konzept Hypnobirthing zu verstehen? Dafür wende ich mich erst den beiden Bestandteilen des Konzepts zu: Hypno – Birth. Welche psychischen und physischen Zustände sind darunter zu verstehen?

Alle physischen und kognitiven Kapazitäten fließen in die Geburtsarbeit ein. Die Wahrnehmung von Körpergrenzen und deren Verschiebung spielt im Prozess des Schwanger-seins, Gebärens und nach der Geburt ebenfalls eine Rolle, was zumindest peripher Berücksichtigung finden soll.





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Leoni Greb, Hebamme, BA Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaften
Leoni Greb, Hebamme, BA Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaften
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Der Prozess des Gebärens fasziniert mich seit meiner Jugend, weshalb ich auch vor meinem Studium eine Ausbildung zur Hebamme absolviert habe. 2011 habe ich mein Examen als Hebamme absolviert und 2020 meinen Bachelor of Arts in Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg abgeschlossen.

Da ich selbst jahrelange als Kreißsaal-Hebamme tätig war, sind mir bereits Personenbegegnet, die sich mit HypnoBirthing auf die Geburt vorbereitet haben. Diese Personen habe ich sehr unterschiedlich wahrgenommen. Selbst habe ich jedoch keine Fachweiterbildung im Bereich HypnoBirthing, weshalb ich gerne mit Expertinnen auf diesem Gebiet ins Gespräch kommen möchte. Im Fokus stehen der Vorgang der physiologischen Geburt als auch die Stärken und Schwächen des Hypnoberthing. Auch meine eigenen Erfahrungen als teilnehmende Beobachterin möchte ich einbringen und mich zur Forschung verorten.

Besonderen Dank gilt an dieser Stelle auch danny merz von   geburtsfotografie hamburg - GEBURTSFOTOGRAFIE (geburtsreportage.de)

Die großartigen, authentischen Fotos von danny merz zeigen die Kraft der Gebärenden und des Kinds, sie romantisieren nicht, denn das ist eigentlich, wenn man die echte Wahrhaftigkeit des Gebärens betrachtet auch nicht nötig. All diese Schönheit, die Kraft, die Liebe, den Wachstumsschmerz und den Frieden spiegeln sich in den Bildern und bereichern die Familie und diesen Beitrag. Vielen Dank!


danny merz auf
Instagram: geburtsreportage | danny merz (@geburtsreportage) • Instagram-Fotos und -Videos

Webseite: geburtsfotografie hamburg - GEBURTSFOTOGRAFIE (geburtsreportage.de)


Leoni Greb, Hebamme, BA Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaften
Leoni Greb, Hebamme, BA Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaften
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Immersion und Geburt

Robin Curtis und Christiane Voss übersetzen die Bezeichnung immersive Erfahrungen „als Erfahrungen des Involviert-Seins und des Sich hineinziehen-Lassens“ (2008).

Die Immersion ist ihrer Ansicht nach kein standardisiertes Phänomen, sondern entspringt aus den unterschiedlichsten Situationen und Hintergründen. Auch die Art wie immersive Zustände auftreten, ist nach Curtis und Voss individuell. Sie behandeln das Thema vor allem im Kontext von Medien wie Film, Videospielen und Virtual Reality, in die ein mentales Eintauchen immer wieder gewünscht ist oder beschrieben wird.

„Formal betrachtet ist ‹Immersion› zunächst eine Kategorie der Wirkung von etwas, das Aufmerksamkeitswert beansprucht, auf jemanden, der sich auf dieses Etwas konzentriert und einlässt. Das lateinische Wort immersio verweist auf eine physische Erfahrung des Eintauchens in Flüssigkeit. Von dort her lässt sich die erweiternde Übertragung des Immersionskonzepts auf Wirkungen einer räumlichen Umschließung verstehen“
 (Curtis/Voss 2008:4)

Für die Geburtsarbeit ist es unerlässlich „sich auf dieses Etwas“ - die eigenen Körperprozesse - zu fokussieren und gleichzeitig loszulassen. Genau an dieser Stelle soll diese Arbeit ansetzen. Ist dieser Zustand bewusst herbeiführbar und kann vielleicht sogar geübt werden?

Nach dieser Definition ist eine Geburt nicht automatisch eine immersive Erfahrung. Aufmerksamkeit beansprucht der Geburtsprozess früher oder später in jedem Fall für sich. Ein Konflikt kann aber entstehen, wenn Körper und Geist sich nicht einig sind: der Körper fordert unentwegt die Aufmerksamkeit der gebärenden Person ein, diese hat jedoch keine Wahl – sie kann sich dem Prozess nicht entziehen. Hier greift der zweite Teil der Definition in zwei Abstufungen: die Konzentration, das Fokussieren folgt den körperlichen Empfindungen, die die Aufmerksamkeit erzeugen – den Wehen. Mit der Fokussierung auf die Wehen, wird die Grundlage geschaffen, sich auf den Prozess einzulassen. Unterstützend wirken hierbei die Atmung und die stete Wiederholung. Dies sind wiederum zwei Charakteristika, die den Weg zu einem meditativen Zustand ebnen. Sind nun alle Aspekte erfüllt, besteht die Möglichkeit, dass die gebärende Person diesen Zustand als kontrollierten Trance- oder Flowzustand wahrnehmen kann, oder als immersive Erfahrung.

Curtis und Voss lösen nicht auf, ob Immersion einen Oberbegriff darstellt oder „eine heuristische Metaphernbildung“ (ebd:4). Begriffliche Nähe besteht jedoch zu Flow, Trance, Meditation oder meditativen Zuständen. Für diese Arbeit möchte ich an der obigen Definition von Immersion als Eintauchen festhalten und einen besonderen Schwerpunkt auf den Aspekt des Einlassens und der Kontrolle legen, was mich zum Konzept des HypnoBirthing führt.

Bevor jedoch der Fokus auf Hypno- gelegt wird, soll ein medizinisches Grundverständnis von -Birth geschaffen werden.



Curtis, Robin; Voss, Christiane (2008): Theorie ästhetischer Immersion. In: montage AV. S.4-10.
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Geburt: Hypno-Birthing

Die physiologische(n) Geburtsphase(n)

Die S3-Leitlinie ist eine interdisziplinär erarbeitete Leitlinie der Geburtshilfe, die im Dezember 2020 veröffentlicht wurde. Die umfassenden Stellungnahmen stärken die Rechte der Gebärenden und legt durch die Interdisziplinarität eine Grundlage für mehr Konsens unter medizinischem Personal in der geburtshilflichen Versorgung. Die Leitlinie ist evidenzbasiert, bedürfnisorientiert und frauen*zentriert.  

Infos hierzu sind auf der Webseite des AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V.)  zu finden.

Der Geburtsbeginn ist nach der S3-Leitlinie durch „regelmäßige, schmerzhafte und progressive Wehentätigkeit“ gekennzeichnet (Langfassung S. 25) Die hieraus folgende Eröffnungsphase wird in die frühe Eröffnung oder Latenzphase bis zu 4-6 cm Muttermundseröffnung und die aktive Eröffnungsphase von 4-6 cm bis zur vollständigen Muttermundseröffnung unterteilt. Darauf folgt die Austrittsphase, die in die latente / passive Phase und die aktive / späte Austrittsphase unterteilt ist. Die latente / passive Austrittsphase ist durch die vollständige Muttermundseröffnung gekennzeichnet, ohne dass die Gebärende einen Pressdrang verspürt. Diese geht in die aktive / späte Phase über, in der das Kind sichtbar ist und die Gebärende reflektorisch und / oder aktiv presst. Ist das Kind geboren, folgt die Nachgeburts- oder Plazentaphase. Diese ist abgeschlossen, wenn die Plazenta samt Eihäute (,der Fruchtblase') vollständig geboren ist und die Frau* tritt in die postpartale Wochenbettphase ein.

Infos unter:

Pressemitteilung der DGGG (Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V.) und DGHW (Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaften)

Pressemitteilung Mother Hood e. V. (gemeinnütziger Verein, Bundeselterninitative)

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Verschiedene Begriffe und Bezeichnungen im medizinischen Bereich können aus unterschiedlichen Gründen infrage gestellt werden. Kommunikation beeinflusst Interaktionen, weswegen eine sensible Sprache bevorzugt werden sollte. Aus Kapazitätsgründen kann das an dieser nicht geleistet werden. Angemerkt sei, dass der Begriff „Austreibungsphase“, wie von der IQWiG verwendet, durch den Begriff der „Austrittsphase“, entsprechend der S3-Leitlinie, ersetzt wurde. Die Begriffe sind als äquivalent zu verstehen.

2016 beauftragte das Bundesministerium für Gesundheit das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen ein Scoping-Review zur Definition der Geburtsphasen zu erstellen (IQWiG, Definitionen der Geburtsphasen 2019 ). Denn: eine (weltweit) einheitliche Definition dieser gibt es bisher nicht. Deshalb wurden nationale und internationale Definition unter der Nutzung verschiedener Datenbanken als Literaturquelle gegenübergestellt und verglichen. IQWiG konnte feststellen, dass fast alle Quellen zwischen Erst- und Mehrgebärenden unterscheiden und Geburtsphasen sich überschneiden, weshalb nicht immer eine eindeutige Trennung der Phasen möglich ist. Je nach Quelle wurden dieselben Begriffe auch für unterschiedliche Phasen verwendet.

Grob lassen sich trotzdem mindestens drei Phasen festhalten: die Eröffnungsphase, die Austrittsphase und die Plazentaphase. Nach der IQWiG Studie ist es schwierig, einen genauen Geburtsbeginn zu definieren und eine physiologische Dauer festzulegen. Eröffnungs- und Austrittsphase werden zudem teilweise in weitere Unterphasen unterteilt wie etwa die frühe oder latente Eröffnungsphase, die späte oder aktive Eröffnungsphase, teilweise wird von einer Übergangsphase ab 7 cm Muttermundseröffnung gesprochen sowie die frühe und späte bzw. latente und aktive Austrittsphase.

Diese Unterphasen der drei allgemeinen Geburtsphasen seien nach dem IQWiG-Report äußerst wichtig, da

 „die Unterteilung in diese Unterphasen zu einem wesentlichen Verständnis des Verlaufs der vaginalen Geburt insofern [beitragen], als sich die Länge der Geburtsdauer verändern und dies Einfluss auf die Interventionsraten haben kann. Zur Bestimmung der einzelnen Phasen wurde die Messung der Merkmale Wehentätigkeit, Zervixlänge, Muttermundseröffnung und Höhenstand des vorangehenden Kindsteils identifiziert, welche in Abhängigkeit zueinander zu betrachten sind.“
(IQWiG, Definitionen der Geburtsphasen 2019)

Erklärung: Wieso forscht das IQWiG?

 „Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wurde vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) damit beauftragt, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e. V. bei der Erstellung einer interdisziplinären S3-Leitlinie ‚Die vaginale Geburt am Termin‘ (AWMF-Registernummer 015-083) zu unterstützen“
 ( IQWiG, Definitionen der Geburtsphasen 2019 )

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Hormone spielen bei der Geburt eine ebenso wichtige Rolle wie die psychische Verfassung der Gebärenden (Coad et al 2007). Wichtige Hormone sind u.a. Oxytocin, Prostaglandin und verschieden Stresshormone. Geburt als komplexer psychischer, physischer und sozialer Prozess ist sensibel für Störungen. Oxytocin kommt eine wichtige Position zu. Dieses Hormon beeinflusst die Wehentätigkeit, die für einen fortschreitenden Geburtsprozess unerlässlich ist. Dieser Vorgang kann durch Stress beeinflusst werden, was sich wiederum auf das Schmerzempfinden auswirkt. Allgemein ist zu sagen, dass Angst und Erschöpfung dazu führen, dass Schmerzen schlechter zu tolerieren sind, durch emotionale Erregung Schmerzen jedoch weniger stark wahrgenommen werden (ebd.). Die Psyche spielt also eine wichtige Rolle.

 „Nicht-pharmakologische Methoden der Schmerzlinderung wie bildliche Vorstellung, Entspannungstechniken und Informationen über den Fortschritt des Geburtsvorgangs können Angst, Stress und die vom sympathischen Nervensystem vermittelten Reaktionen mindern“
 (Coad et al 2007: 393)

Zusammenfassend ist zu sagen, dass der Geburtsprozess sehr sensibel, individuell und von mehreren Faktoren abhängig ist. Jedoch gilt es psychologische Komponenten und Interventionen als mögliche Störungen zu berücksichtigen.



Coad et al. (2007): Kapitel 13 Physiologie der Geburt. In: Anatomie und Physiologie für die Geburtshilfe. Urban & Fischer. S. 347-398.

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 „Geboren wird nicht nur das Kind durch die Mutter, sondern auch die Mutter durch das Kind.”
 — Gertrud von Le Fort

Mit der Aussage von Gertrud von Le Fort möchte ich den Fokus weg vom technisch-medizinischen Vorgang hin zu weiteren Ebenen der Geburtsarbeit lenken – auf die psycho-soziale Ebene. Die Geburtshilfe der letzten 80 Jahre hat sich deutlich verändert.

1974 löst der Gynäkologe und Geburtshelfer Frederic Leboyer die Bewegung „Geburt ohne Gewalt“ aus und öffnet damit neue Perspektiven auf die Art wie die Gesellschaft und speziell geburtshilfliches Personal Gebärende und Kinder betrachtet. Die sanfte Geburt ist eine kindzentrierte Auffassung, welche eine Situation für das Kind (und die Mutter) schaffen sollen, um einen stressfreien Start ins Leben zu ermöglichen. Er verschiebt den Fokus auf die Natürlichkeit des Gebärens, weg von einer medikalisierten Geburtshilfe. Weg von der Medikalisierung führt hin zu einer Wiederaneignung der Geburt durch die Frau*.

 „Dabei ist eine Entbindung wie […] ein Erdbeben, seine Sturmflut, ein Wirbelsturm. Sie kann ein mitreißendes Abenteuer für diejenigen werden, die das Steuer zu halten verstehen. […] Jetzt hör gut zu! Was Du jetzt erfährst, wird Dich sehr schockieren! Wer kann für Dich essen? Niemand, das ist doch klar. Wer kann für Dich schlafen? Auch niemand. Und wer kann für Dich entbinden? Niemand. Niemand außer Dir, Dir, Dir! […] Das Kind unternimmt die größten Anstrengungen, um Geboren zu werden. […] Anders gesagt: eine Entbindung wird zu zweit gelebt. […] Du musst nämlich wissen, eine Entbindung, eine Geburt ist wie ein Ausbruch von Lebensfreude. Das Leben ergießt sich in Dich und es ist so stark, dass es alle Grenzen, alle Barrieren sprengt. […] Was ist das? Was “schäumt” bei einer Entbindung über? Es ist das Leben! Es ist die Liebe! Ja es ist die Freude! Und all das mit einer Kraft, die Dich in Angst und Schrecken versetzt.”
 (Leboyer [2006] 2013: Atmen, singen, gebären. S. 14ff. Patmos-Verlag )

Laut Leboyer machte sich die Geburtsmedizin die Angst der Frauen* zu nutzen, damit die Geburtshelfenden als Fachpersonal sich die Geburt aneignen können. Seiner Ansicht nach, ist es an der Zeit, dass Frauen sich die Geburt wieder zu ihrer machen.

Angst, Kontrolle, Macht und Intervention sind somit seit Jahrzehnten, vielleicht seit Jahrhunderten Dreh- und Angelpunkte in Geburtsprozessen. Es gibt sicherlich unzählige weitere Ansätze und Philosophien.

Heute münden einige dieser Ansätze in Zertifizierungen wie zum Beispiel das „Babyfreundliches Krankenhaus“ (WHO Baby-friendly Hospital Initiative 1991).

Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen: Viel hat sich verändert, Kreißsäle werden neu gestaltet, Gebärende ermutigt sich zu bewegen und die Geburtsposition einzunehmen, die sie möchten, soweit es eine physiologisches Geburt eines reifen Kindes ist. Besondere Umstände wie Frühgeburtlichkeit, Mehrlingsschwangerschaften oder gesundheitliche Auffälligkeiten bei der Gebärenden oder beim Kind schränken diese Möglichkeiten gelegentlich ein.

Die physisch messbare Gesundheit von Müttern* und Kindern hat sich in den letzten 80 Jahren deutlich verbessert: So ist die Säuglingssterblichkeit nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich deutlich gesunken bis sie seit Anfang der 1990er auf einem konstant niedrigem Niveau ist (Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung), selbiges gilt für die Müttersterblichkeit (BiB). Das niedrige Niveau ist nicht vergleichbar mit Ländern mit instabileren Gesundheitssystemen.

Gleichzeitig macht die technische Entwicklung auch keinen Halt vor der Geburtshilfe und es gibt diverse Möglichkeiten, die in den 1970ern noch keine Rolle gespielt haben.

Auch Gewalt und Übergriffigkeit ist leider immer noch ein Thema was man an Roses Revolution – Tag gegen Respektlosigkeit und Gewalt in der Geburtshilfe (2011 ins Leben gerufen) deutlich zu sehen ist (Roses Revolution).
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Das Konzept HypnoBirthing und gleichnamige Buch stammt von Marie F. Mongan aus den USA. Das Buch ist Standardwerk und Grundlage für HypnoBirthing. Thema ist Selbsthypnose und Tiefenentspannung während der Geburt.
Mongan hat sich während ihrer eigenen Schwangerschaft 1955 mit dem Artikel ,Mutter werden ohne Schmerz' von Grantly Dick-Read auseinandergesetzt (Mongan [2008] 2019: 35). Ihr Fokus lag hierbei „ganz auf Dick-Reads Theorie der Beseitigung des Angst-Verkrampfungs-Schmerz-Syndroms“ (ebd.). Ein Schwerpunkt liegt somit auf der mentalen Vorbereitung, um Schmerzen ausgelöst durch Angst vor Schmerzen zu vermeiden. Sie beschreibt aus ihrer eigenen Erfahrung starre Klinikstrukturen, die keine Abweichungen dulden. Mongan beschreibt wie sie mit dem Wunsch nach einer natürlichen Geburt nicht ernst genommen wurde und dann in der Austrittsperiode diverse übergriffige, scheinbar standardisierte Interventionen erlebte:

 „Ich fühlte mich unglaublich enttäuscht und war schrecklich aufgebracht. Die natürliche Geburt, die ich für mein Baby geplant hatte, war mir geraubt worden und mein Kind hatte unnötig leiden müssen.“
 (ebd.: 37)

Mongan arbeitet als Direktorin einer Hochschule für Frauen und wurde später als psychologische Beraterin und Hypnotherapeutin zugelassen (Mankau Verlag).

1989 bereitet Mongan ihre Tochter auf deren eigene Geburt mit Mongans HypnoBirthing-Methode vor (Mongan [2008]2019: 41f).

 „[Die Geburt ihres Enkels] war kein Glücksfall, sondern eine Geburt, die sorgfältig und liebevoll geplant, vorbereitet und erreicht worden war.“
 (ebd.: 42)

Mongan behandelt in ihrem Buch folgende Aspekte ausführlich: die mentale Kraft (ebd.: 89ff) mit den Aspekten Entspannung, Visualisierung und Selbsthypnose. Dabei beschreibt sie die Auswirkungen der Psyche auf die Physis, die Bedeutung der Wiederholung und der Motivation (ebd.: 90). Auch geht sie auf die Wirkung von Sprache ein (ebd.:92ff). Sie ermutigt dazu, klinische Begriffe durch eine „HypnoBirthing-Sprache“ (ebd.: 96) zu ersetzen um positive(re) Assoziationen zu wecken. Unter anderen wird hier der Begriff der Wehe durch Welle ersetzt (ebd.). Weiter plädiert sie dafür bewusst einen Kontakt zum Kind aufzubauen (ebd.:105). Sie definiert außerdem „[d]ie vier Basistechniken des HypnoBirthing“ (ebd.: 140).

Hierfür gibt es Anleitungen: Entspannungsübungen (ebd.:155ff), Atemtechniken (ebd.: 145ff) Visualisierungstechniken (ebd.:161ff) und Vertiefungstechniken (ebd.:171ff). Nach einem ganzheitlichen Ansatz geht sie auch auf die Bereiche Ernährung (ebd.: 179) und Bewegung (ebd.: 185) ein. Darüber hinaus wird medizinisches Grundwissen um die Geburt vermittelt und besondere Themen wie z.B. die Beckenendlage behandelt (ebd.: 204ff).

Abschließend wird auch kurz auf möglich Pathologien hingewiesen und an medizinisches Fachpersonal verwiesen:

 „Lassen Sie [Ihren medizinischen Betreuer] entscheiden, ob es tatsächlich nichts ist oder eine erhöhte Aufmerksamkeit auf medizinischer Seite benötigt wird“.
 (Mongan [2008] 2019: 217)

Zu Beginn erwähnt sie außerdem:
 „[d]ie Philosophie des Programms schließt den Einsatz medizinischer Eingriffe nicht per se aus. Sie schließt den Einsatz von routinemäßigen, willkürlichen oder unnötigen medizinischen Eingriffen aus, die nur aus der gefühllosen Zweckmäßigkeit heraus bereitgestellt werden (…).“
 (Mongan [2008] 2019: 49)

Zwar wird nicht explizit ausgesprochen, dass eine Frau* die nicht natürlich und ohne Schmerzmittel gebärt, versagt hat, aber implizit wird vermittelt, dass natürlich gebären jede*r kann. Mongan schreibt hierzu:

 „Wir versprechen keine Geburten, die gänzlich frei von Unannehmlichkeiten sind, aber sind fest davon überzeugt, dass die Möglichkeit für eine schmerzfreie Geburt für 95 Prozent der gebärenden Mütter durch diese Philosophie und diese Programm gegeben ist.“
 (Mongan [2008] 2019: 47)

Dass dies problematisch sein kann und unter Umständen einen besonderen Druck auf die Gebärende ausüben kann, wird in den folgenden Abschnitten kritisch angesprochen. 

Mongan, Marie f. ([2008]2019): HypnoBirthing. Der natürliche Weg zu einer sicheren, sanften und leichten Geburt. 7. Aufl. Mankau Verlag GmbH. Murnau a. Steffelsee.




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Foto:  © Danny Merz

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Stimmen zum Thema HypnoBirthing von Müttern, HypnoBirthing-Coaches und Hebammen

Im Rahmen dieser Forschung habe ich in einer Hebammengruppe auf Social Media folgenden Aufruf gestartet:

„Liebe Hebamme, ich suche im Rahmen meines Studiums Personen (Kolleginnen aber auch gerne Mütter) die Erfahrung mit dem Thema Hypnobirthing haben, sowohl im Kreißsaal als auch in der Vorbereitung und Lust haben mit mir darüber zu sprechen. Positive als auch kritische Stimmen sind gern gesehen, gerne auch wie ggf. eure Ausbildung zur Hypnobirthtrainerin war. Ich freue mich auf euch!“

Reaktionen
Die zahlreichen Reaktionen hierauf waren überwältigend. In kürzester Zeit fanden sich zahlreiche Kommentare und Reaktionen auf den Post; zusätzlich erreichten mich Direktnachrichten, in denen sich nochmal differenzierter als in den Kommentaren geäußert wurde. Insgesamt wurde der Post 74 mal von ca. 34 Akteur*innen kommentiert, die Reaktionen (Likes u.a.) nicht berücksichtigt. Die Kommentarlänge geht für gewöhnlich über einzelne Sätze oder Fragen weit hinaus. Zehn Kommentare müssen hieraus abgezogen werden, da dies Kommentare meinerseits sind, in denen ich mich für das Feedback bedanke und zum Teil nach Interesse an einem direkten Austausch frage.

Da es sich hier allerdings um eine Seminararbeit handelt, konnte an dieser Stelle nicht allen Möglichkeiten nachgegangen werden. Auch eine tiefergehende Analyse des Gesamtmaterials sprengt an dieser Stelle den Rahmen und muss in einem anderen Kontext erfolgen.

Betrachtet man die Kommentare jedoch quantitativ, fällt auf, dass einige Themen vermehrt genannt werden. Eine qualitative die Kategorisierung in positive, negative und ambivalente Erfahrungen mit dem Konzept des HypnoBirthing ist ebenfalls möglich.

Ergebnisse
Positivkritik
  • Guter Kontakt zum Kind während der Schwangerschaft und am Anfang der Geburt
  • Die spezielle Atemtechnik wird als sehr bereichernd empfunden während der Geburt
  • Positives Geburtserlebnis durch die Vorbereitung, selbst wenn das Konzept nicht stringent angewendet werden konnte
  • Frauen* erhalten hierdurch ein Konzept, dass sie selbst mit oder ohne Partner anwenden können
Negativkritik
  • Das häufigste und immer wiederkehrende Argument ist eine zu hohe, illusorische Erwartungshaltung der Schmerzfreiheit durch die Gebärenden, die durch HB vermittelt wird. Zusätzlich setzte der Ansatz alles schaffen zu können, wenn genug geübt wurde, die Frauen* extrem unter Druck.
  • Weiter seien die Gebärenden, besonders die Erstgebärenden, nicht vorbereitet auf die Extremsituation Geburt und „überrumpelt, dass sie trotzdem Schmerzen hatten“
  • Können die Gebärenden ihrer Vorstellung nicht entsprechen und nehmen doch Schmerzmittel in Anspruch, entsteht häufig bereits bei leichter Abweichungen vom Konzept ein Gefühl des Versagens: „[Eine Frau] warf sich selbst ‚Versagen‘ vor, weil sie laut war“
  • Ist das Gelernte mit Beginn der Geburtswehen nicht abrufbar – was einige Frauen*, die das Konzept angewendet haben beschreiben – entsteht hierdurch ebenfalls ein Gefühl des Versagens und Frustration. Teilweise berichten Frauen* und Hebammen, dass durch das starre Festhalten am Konzept eine Blockade entsteht.
  • Wenn (Erst-)Gebärende das Konzept nicht abrufen können, hatten sie zusätzlich oft „einfache keine Strategie mit dem Schmerz umzugehen, weil sie glaubten schmerzfrei sein zu werden“
  • Problematisch sei auch die Ausbildung der HB – Trainer*innen: Jede*r kann eine Weiterbildung zur*zum HB-Trainer*in machen, ohne besondere Vorkenntnisse, woraus medizinische Fehlinformationen resultieren können
  • Wie sieht die Zielgruppe aus? Das Konzept spreche „häufig Frauen mit perfektionistischer Lebensauffassung oder sehr ängstliche Frauen an“, die sich von dem Konzept verstärkte Kontrolle wünschen und sich so im Weg stehen und nicht ins Loslassen / den Flow kommen, um die Geburt geschehen zu lassen. Hier verpasse das klassische Konzept, Frauen* „auf die Unwägbarkeiten der Geburt“ vorzubereiten.
  • Konfliktpotential im Fall von Komplikationen: Ablehnung des geburtsbegleitenden Personals bei Komplikationen und entsprechende Ablehnung der Intervention auch bei medizinischer Indikation 
  • Einige berichten von einem Zurückhalten des instinktiven Pressdrangs, da zu sehr am Konzept des HB festgehalten wurde.
Ambivalente Kritik
  • Aus der Sicht des betreuenden medizinischen Personals gibt es große Unterschiede bezüglich des Umsetzungserfolgs durch die Frauen: Manche Frauen können gut mit dem Konzept arbeiten, manche nicht.
  • Explizit wird besonders zwischen der Eröffnungsphase und der Austrittsphase unterschieden. Mit fortschreitender Geburt konnte das Konzept immer schlechter abgerufen werden:
    • „Ich […] habe die Erfahrung gemacht, dass die Frauen oft super eröffnen und sich ganz atypisch verhalten in der EP [Eröffnungsperiode Anm. LG]. Die Frauen sind sehr konzentriert und bei sich und können die Wehen besser geschehen lassen. Aber die AP [Austrittsphase Anm. LG] ist durchweg ein Krampf. Ewig lang, mit viel turnen und irgendwann dann leider doch aktiver Anleitung zum Mitschieben […]. Deshalb kläre ich in der Vorbereitung über die AP auf und über instinktiven Pressdrang etc.“
  • Problematisch aus Sicht einer Klinikhebamme ist auch die Art der Kommunikation, wenn sich die Parteien vor der Geburt nicht kennengelernt haben, also in einer klassischen Klinikgeburtssituation:
    • „Was mich aber im Voraus an den Geburtsplänen stört, die die Frauen mitbringen ist, dass wir sie nicht direkt ansprechen sollen, sondern alles über den Partner laufen soll. […] Wenn man die Frau schon vorher kennt, ist die fehlende Kommunikation vielleicht was anderes. Ich fand das tatsächlich immer schwer einzuschätzen“. 
  • Hier wird eingewendet, dass es auf die Situation ankomme: sei die geburtsbegleitende Person, ein*e gute*r Vermittler*in, sei dies unproblematisch. Hiervon sei bei einer HB-Geburt auszugehen, da das Paar sich zuvor abgesprochen hat und die Person die Gebärende nicht bevormundet oder für sie Entscheidungen treffe. So könne die Frau besser bei sich bleiben und die Begleitung als „Sprachrohr“ fungieren. Besonders einfache anamnetische Fragen könne auch die Begleitung beantworten.
  • Beispielhaft ehrlich ist die positive Erfahrung einer Mehrgebärenden:
    • „Als ich im Kreißsaal meine gewohnten Affirmationen hörte, setzte eine ganz tiefe Ruhe ein. Der Vorteil bei dieser 4. Geburt war letztlich, dass ich mehr das Gefühl von ‚Kontrolle‘ hatte. Ich habe mich durch die Wehen gezählt und fühlte mich dem Schmerz weniger ausgeliefert. Immer wenn eine Wehe kam, habe ich ganz langsam geatmet und war total ruhig. Weniger war der Schmerz deswegen nicht. Beim Nachtreffen des Kurses zeigte sich dann, dass die Erstgebärenden eher keinen Vorteil durch den Kurs hatten und teilweise mit dem Gefühl des Versagens kämpften“
  • Eine Frau* wendet ein, das Konzept zwar nicht bei der Geburt angewendet zu haben, da sie es nicht abrufen konnte, aber in anderen Kontexten angewendet hat.



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Zusammenfassend ist zu sagen, dass das Konzept einen positiven Ansatz verfolgt, in der Umsetzung jedoch verschiedene Hürden nicht zu nehmen scheint. Besonders in der Schwangerschaft scheint das Konzept und die Methode der Selbsthypnose eine positive Wirkung zu haben. Bezüglich des Geburtsprozesses sollte jedoch in den Kursen eine stärkere Differenzierung erfolgen: Durchlebt die Frau* zum ersten mal den Prozess des Gebärens? Mit wie viel Vorwissen und Körpergefühl ist zu rechnen? Wie viel Zeit für die mentale Vorbereitung wird eingeplant? Wie kann ein Konzept flexibel genug bleiben, um Situationen individuell anzunehmen? Abschließende Worte überlasse ich an dieser Stelle einem letzten Kommentar:

 „Wichtig ist aus meiner Sicht, den Frauen zu vermitteln, dass es unter der Geburt darum geht, Wiederstände und Konzepte loszulassen und sich voll und ganz auf den Prozess einzulassen. Und der ist manchmal einfach intensiver als sie sich vorstellen können und als Hypnobirthing vermittelt. Und dass niemand versagt, wenn es dann doch anders läuft als man in diesen Kursen lernt.“
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Abschließend ein paar Worte zum Faktor Zeit:
Durch einen einzigen Yogakurs ist noch niemand zum Zen-Meister geworden. Das ist kein Geheimnis. Ähnlich verhält es sich mit Selbsthypnose oder Meditation. Diese mentalen Prozesse benötigen ein umfangreiches Training, bis zur souveränen Anwendung mitunter Jahre. Die Techniken sind lernbar, aber nicht in kürzester Zeit. Befasst sich eine Schwangere in ihrer Schwangerschaft zum aller ersten mal mit mentalen Trainings, ist es zwar möglich das Erlernte in der Extremsituation Geburt abzurufen, jedoch eine oft unterschätzte Herausforderung. Das ist innerhalb dieser explorativen Forschung deutlich geworden. Selbst der schwangere Zustand stellt bereits einen Ausnahmezustand im Leben dar. Diese Umstände sind nicht zu unterschätzen und sollten neben aller positiven Affirmationen thematisiert werden. Wie bereits mehrfach genannt wurde:

das Nicht-Abrufen können der Selbsthypnose während der Geburt ist kein Versagen.

Zusätzlich spielt zwar die Einstellung eine wichtige Rolle, es kann jedoch immer zu Komplikationen oder besonderen Geburtssituationen kommen. Darunter gibt es Situationen, die vollkommen unabhängig von der mentalen Vorbereitung der Schwangeren sind und die Interventionen benötigen. Auch hier gibt es keine Schuldigen – weder die Schwangere noch das geburtshilfliche Personal, auch wenn Strukturen hinterfragt werden können. 
Gleichzeitig soll an dieser Stelle Gewalt in der Geburtshilfe nicht bagatellisiert werden. 

Auch das Hinterfragen standardisierter Interventionen ist per se nicht verwerflich. Allerdings fehlt den HypnoBirthing-Coaches (und den meisten Gebärenden und ihren Familien) hier in vielen Fällen, nicht in allen, nach Ergebnissen dieser explorativen Forschung die nötige medizinische fachliche Ausbildung, um dies entsprechend zu beurteilen. Hierdurch entstehen fachliche aber auch emotionale Konflikte, die zulasten des Vertrauensverhältnisses zwischen der Gebärenden und dem medizinischen Personal gehen.


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Foto:   © danny merz


Gebären ist Körperarbeit. HypnoBirthing kann eine Methode sein, sich dieser zu nähern. In einer körperfernen Gesellschaft ist es jedoch utopisch, allein durch einen HypnoBirthing Kurs einige Wochen vor der Geburt sich selbst so intensiv und gefestigt vorzubereiten, dass ein sicheres Körpergefühl zuverlässig in einer herausfordernden (mental und physisch) Extremsituation abgerufen werden kann.

Nach allen Eindrücken, die ich durch Frauen*, Hebammen und HypnoBirthing-Coaches gewonnen habe, lässt sich zumindest ein gemeinsames Ziel feststellen: Alle wünschen sich selbstermächtigte, empowerte Gebärende, die den Geburtsprozess als natürlich und kraftvoll erleben.

Die große Stärke des HypnoBirthing Konzepts ist es, dass Frauen* sich mit sich selbst und ihrem Körper auseinandersetzen – meiner Meinung nach essentiell für eine gute Geburtserfahrung in einer körperfernen Gesellschaft. Sich selbst zu spüren, sein Kind zu spüren und das eigene Bauchgefühl nicht nur zu hören, sondern diesem auch zu vertrauen, ist ein Prozess, der geübt werden will. HypnoBirthing, die positiven Affirmationen und das mentale Training bilden hierfür und für eine immersive Geburtserfahrung eine sehr gute Grundlage.

Höchst problematisch sehe ich jedoch den absolutistischen Ansatz des Konzepts: im Orginalwerk HypnoBirthing von Marie F. Mongan wird mehrfach von einer schmerzfreien Geburt gesprochen (beispielsweise: Mongan [2008] 2019: 43, 47). Dies weckt teilweise utopische Vorstellungen bei Teilnehmer*innen, da sie sich den Geburtszustand und das Gefühl von Wehen nicht vorstellen können und so im ungünstigsten Fall überfordert sind und ein Gefühl des Versagens entsteht. Teilweise ist fraglich, ob in der kurzen Zeit ohne nahstehende Betreuung überhaupt eine erfolgreiche Vorbereitung stattfinden kann.
Denn der Ansatz der mentalen Vorbereitung ist durchaus plausibel und kann sich als sehr hilfreich erweisen. Auch der Ansatz, die Geburt und das Gebären als einen physiologischen und absolut natürlichen Prozess zu betrachten, ist immer noch aktuell und eine hilfreiche, vielleicht notwendige Herangehensweise – sowohl für die Schwangeren als auch für medizinisches Personal. Der Fokus liegt zu oft auf einer Pathologisierung der Prozesse Schwangerschaft und Geburt. Auch dieser progressive Ansatz der physiologischen Betrachtung von Schwangerschaft und Geburt hat weiterhin seine volle Berechtigung – trotz voranschreitender technischer Entwicklungen. Eine Sensibilisierung aller Beteiligten (Gebärende, Begleitperson und medizinisches Personal) ist sicherlich sinnvoll.

Ich halte es für möglich, dass Frauen* eine Geburt nicht als schmerzhaft empfinden – das durfte ich bereits selbst miterleben. Entscheidend ist hierfür meiner Ansicht nach jedoch nicht das Konzept HypnoBirthing. HypnoBirthing kann jedoch ein Schritt auf dem Weg zu einer selbstbestimmten Geburt sein, bei der die Frau mit sich und dem Kind in tiefem Kontakt steht.

Der Grat zwischen Kontrolle und einem Sich-Einlassen oder Loslassen ist schmal und viele Faktoren spielen hier eine entscheidende Rolle: Zustand der Schwangeren, Vorbereitung, Haltung des medizinischen Personals, Klinikstrukturen und vieles mehr. Einige Faktoren hat die Schwangere zu einem gewissen Anteil sicherlich selbst in der Hand – andere liegen außerhalb ihres Wirkungsfeldes.

Immersion als ein Eintauchen in die Situation erfordert auch ein mit-der-Situation-gehen, also eine gewisse Flexibilität, ein sich-tragen-lassen vom Moment. Immersive Erfahrungen sind somit durch das Konzept HypnoBirthing sicherlich vorstellbar und die Konzepte greifen einander auf.

Gleichzeitig ist das Wechselspiel zwischen Kontrolle und Hingabe fluide und ein Ausschlag in die eine oder andere Richtung nur bedingt kontrollierbar. Vieles ist beeinflussbar, aber nicht vollends kontrollierbar, so auch immersive Zustände.
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Keine Methode?

Auch berichten Frauen* auch ohne das Konzept HypnoBirthing gelernt zu haben, in den Wehen immer wieder in einen Trancezustand zu kommen:
 „Ohne aktiv hypnobirthing Methoden angewendet zu haben, habe ich viele Phasen meiner Geburt in Trance verbracht. Es war ein unkomplizierter Verlauf und ich konnte alles gut geschehen lassen und bin von allein immer wieder in Trancezustände gekommen.“

Eine Andere schreibt:
 „Ich war bei beiden Geburten ohne jegliche Vorbereitung völlig ‚high‘ und euphorisch.“

Diese Frau* berichtet, sich stattdessen mit Yoga und orientalischem Tanz vorbereitet zu haben. Hier sieht man deutlich, dass der mentale Trancezustand zuvor geübt wurde. Sie hat sich in diesem Sinne also auf die Geburt vorbereitet – auch wenn dies nicht in einem expliziten Geburtsvorbereitungskontext geschehen ist.

Yoga wird im Kontext mehrfach als zusätzliche oder alternative Methode angebracht.

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Die friedliche Geburt

Positiv hervorgehoben wird hier, dass mögliche Komplikationen angesprochen werden und keine „schmerzfreie, schnelle und wunderbare Geburt garantiert“ wird. Hierdurch vermutet die Kommentatorin, dass so traumatische Geburten minimiert werden könne.

Zur Friedlichen Geburt
Eine der Frauen, Vera, hat auf meinen Post reagiert und mir einen Kontakt angeboten woraufhin ich ihr einige Fragen zukommen ließ. Sie hat darauf per Sprachnachricht reagiert.

Ihre eigenen Erfahrungen hat Vera, Hebamme und Mutter, mit mir geteilt. Sie hat sich mit dem Konzept Die Friedlichen Geburt auf die Geburt ihres Kindes vorbereitet. Hier wendet die Gebärende Selbsthypnose und positive Affirmationen an, um in die Entspannung bzw. einen Flow- oder Trancezustand zu kommen. Die Friedliche Geburt ist ein Konzept von Kristin Graf (Die Friedliche Geburt). Kristin Graf hat selbst zuerst das Konzept des HypnoBirthing kennengelernt, bevor sie sich dazu entschied, den Ansatz der Hypnose und Meditation unter Geburt aufzugreifen und für ihr Konzept Die Friedlichen Geburt fruchtbar zu machen. Im Fokus steht angstfreies Gebären und das Sich-Einlassen, das Vertrauen in den eigenen Körper und das Kind. Die Konzepte HypnoBirthing und die friedliche Geburt unterscheiden sich jedoch an einigen Stellen deutlich voneinander. Leider sind an dieser Stelle die Kapazitäten begrenzt und eine ausführliche Erläuterung des Ansatzes ist an dieser Stelle nicht möglich. Alle weiteren Information können direkt auf der Webseite Die Friedliche Geburt bei Kristin Graf und ihrem Team in Erfahrung gebracht werden. Die Methode berücksichtigt – so viel sei an dieser Stelle erwähnt – einige Aspekte, die unter Umständen im Konzept des HypnoBirthing zu kurz kommen. Denn der Zustand des Gebärens ist zwar ein Physiologischer, stellt jedoch trotzdem eine Ausnahmesituation über die Lebenszeit dar. Durch Veras Beitrag wird auch deutlich, wie hoch anspruchsvoll es ist, während der Geburt positive Affirmationen abzurufen und in einen meditativen Zustand zu gelangen.

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An dieser Stelle möchte ich Vera zu Wort kommen lassen.

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