Intro
SFB 1015 Muße / Gendering MINT digitalNatur der Muße
Verstehen wir Muße als ein humanistisches Konzept, das verbunden ist mit dem emanzipativen Movens eines tätigen Untätigseins, das mit Selbsterkenntnis und Reflexion einhergeht, dann begreifen wir Muße zugleich als ein urbanes, bildungsbürgerliches und der Sinnesvielfalt zumeist entfremdetes Konzept. Hingegen berichten Narrationen über Muße beim Waldbaden, Ausritt oder Spaziergang im Grünen sowie bei Reisen in Nationalparks von einem Eskapismus, von den Sehnsüchten überarbeiteter Menschen aus Metropolen, von Überforderten sowie an Reizen und Verpflichtungen Übersättigten. Die Natur scheint auf unbeabsichtigte Weise einen Bildungsauftrag zu übernehmen und den Menschen zum emanzipatorischen Innehalten zu verhelfen, zu einer reflexiven Einkehr, die in den dafür vorgesehenen Institutionen und Orten – wie in Universitäten, Bibliotheken, im Theater, in Museen, sakralen Gebäuden, städtischen Parks oder auf Flaniermeilen – zunehmend vermisst wird oder von vielen Menschen mit diesen Orten gar nicht verbunden wird, da sie sich von ihnen nicht angesprochen fühlen.
Die Natur als Lehrmeisterin ist durchaus kein unbekannter Topos, aber ein klassischer Mußeort ist sie nicht. Wird Muße in der Natur erfahren, hat sie Transformationen durchlaufen ebenso wie der Naturraum, in dem sie aufscheint.
Dem Wald als Mußeort sind wir in dieser Webdokumentation auf der Spur. In Freiburg lässt sich modellhaft zeigen: Der Mußeort Wald ist in urbane Konzepte eingebunden, er wird eingehegt, gepflegt und gelichtet, um seiner Unberechenbarkeit und Ordnungslosigkeit, die nichtzuletzt in Mythen und Märchen als bedrohlich beschrieben wurde, zu begegnen. Es sind dies Wälder an den Rändern von Städten, sie haben sich zu Naherholungsgebieten transformiert, die nicht unweit der Zivilisation anzutreffen sind und ebenso forstökonomische wie touristische Ziele verfolgen. Die Natur der Muße – so lautet das Narrativ dieser Dokumentation – ist von einem urbanen Charakter geprägt, der die Sinnlichkeit weckt und Fragen aufwirft. Es sind Fragen danach, ob sich Muße in beschleunigten Zeiten vor allem an der Peripherie finden lässt, dort, wo sich Räume öffnen, um durchzuatmen, nachzudenken und sich mit sich selbst zu befassen. Vom Rande Freiburgs aus gehen wir diesen Fragen nach, um sie am Ende in die urbanen Wüsten des 21. Jahrhunderts hineinzutragen. Dabei möchten wir frischen Wind in die hehren Hallen der Muße wehen und zwischen Baumwipfeln einwenig Himmel erspähen.