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Sinnlichkeit der Muße

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Intro

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»Denken heißt, im Unendlichen spazierengehen.«
       Jean Baptiste Henri Lacordaire

   – Eine theoretische Flanerie von
       Marion Mangelsdorf



Videoloop aus Thomas Riedelsheimer (2017) Die Farbe der Sehnsucht
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»Ich möchte damit beginnen, über die Bedingungen unseres Gesprächs nachzudenken. Wir sprechen, jedoch sitzend. So stellen wir uns zu einem gewissen Grad still, machen uns unbeweglich, um zu sprechen. Was ist dieses Sprechen? Stellt es auch eine Bewegung des Körpers dar? Und ist dieses Sprechen miteinander eine Art und Weise des sich miteinander Bewegens? Wenn dies so ist, gelingt uns die gemeinsame Bewegung? Sollte das möglich sein? Wenn wir sprechen, dann ordnen wir die Bewegung dem Sprechen unter, weil wir davon ausgehen, dass das was wir anzubieten haben, dass die Bedeutungen, die zu übermitteln sind, durch Worte übermittelt werden. Dieses Sprechen gibt dabei für einen Augenblick vor, keine Bewegung des Körpers zu sein. In diesem Falle wäre Sprechen die Bewegung eines Körpers, der so tut als ob das Sprechen keine Bewegung sei.«                
                            Judith Butler
über das Tanzstück Körper von Sasha Waltz


Abb. aus: Körper von Sasha Waltz
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Muße-Ideale

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Muße-Ideale werden am SFB zentral in theoriegeleiteten historisch vergleichenden Forschungsprojekten behandelt. Sie stehen in Bezug zu Fragen der Muße-Semantik – das heißt in Bezug zu Termini wie otium, scholê oder dosug.

Anknüpfend an die erste Förderphase wurde in einigen Teilprojekten bereits gezeigt, dass das Muße-Ideal, wie es in der Antike ausformuliert wurde, im historischen Verlauf sowie in unterschiedlichen Kulturen Variationen erfuhr. So wurde die klassische Vorstellung idealer Muße-Praxis in Form von theoria (Betrachtung) durch östliches, vor allem buddhistisches Gedankengut beeinflusst, innerhalb dessen körperliche Askese, Weltverzicht und Rückzug von elementarer Bedeutung sind. Im Gegensatz dazu wird Muße aus einer spätmittelalterlichen Perspektive gerade nicht mit einer Abkehr von der Welt, sondern mit einer Hinwendung verbunden gesehen, das heißt als eine wechselseitige Integrierbarkeit von vita activa und vita contemplativa in Form einer vita mixta. Darüber hinaus lässt sich schließlich mit Blick auf die Industrialisierung die von Karl Marx aufgeworfene Frage verfolgen, welcher gesellschaftlichen Bedingungen und materiellen Voraussetzungen es bedarf, um Muße überhaupt in Form selbstbestimmter Tätigkeiten zu ermöglichen. Das heißt Tätigkeiten, die von nicht entfremdeter Arbeit und Selbstzweckhaftigkeit charakterisiert sind.



Abb.: Jacques Louis David. Der Tod des Sokrates.
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Diese semantisch-theoretischen Diskurse rekurrieren vor allem auf eine Leib-Seele-Problematik, da sie die Frage nach der Wechselwirkung von Bewusstsein und Körper aufwerfen.

So finden sich etwa in Platons Schrift Phaidon Dialoge über die Unsterblichkeit der Seele. Platon zeichnet in Phaidon ein Gespräch auf, welches Sokrates’ angesichts seines Todesurteils, bevor er den Schierlingsbecher leerte, mit seinen Freunden geführt habe. Platon zufolge erörterten sie, wie das Ende des irdischen Lebens aufzufassen sei. Dabei habe Sokrates davon gesprochen, dass ihm der Tod dazu verhelfe, was ihm als wahrheitsliebender Philosoph bereits zu Lebzeiten ein Anliegen gewesen sei, nämlich die Absonderung der unsterblichen Seele vom Leib. Das heißt von einem Leib, der nicht nur von Begehren, Leid und Schmerz, sondern auch von Sterblichkeit gekennzeichnet sei. Das bedeutet, Angst vor dem Tod sei für Menschen lächerlich, die ihr ganzes Leben bereits darauf ausgerichtet hätten, „so nahe als möglich an dem Gestorbensein zu leben.“ (Platon Phaidon 67d)

Der Leib wird hier als Diener einer göttlichen Seele verstanden, der er sich unterzuordnen habe von dem er durch den Tod befreit werde (vgl. Kirchner 2018).


Frage
Hat sich in der abendländischen Geschichte von der Antike bis hin zu Descartes ein Leib-Seele-Dualismus tradiert, der eine Vorrangstellung des Geistigen gegenüber dem Leiblichen behauptete?
Und inwiefern korreliert eine solche Auffassung mit einer „Engführung von Muße und Theorie, die Aristoteles paradigmatisch in der Nichomachischen Ethik entwickelt hat“? (Jürgasch & Keiling 2017, V) Das heißt mit einer Auffassung, die „Theoria als Vollendung der Lebensform der Muße“ versteht?  (Hasebrink & Riedl 2014, 5; vgl. auch Kirchner 2018)



Abb.: Anselm Feuerbach. Das Gastmahl nach Platon.
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im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit
     trans- und posthumanistische Debatten





Videosequenz: Björg. All is full of Love.

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Im Transhumanismus und technologischen Posthumanismus wird vor allem das Projekt verfolgt, sich des menschlichen Körpers durch Upload des Gehirns im Worldwide Web im Sinne einer weiteren evolutionären Stufe auf Grundlage asexueller Reproduktion zu entledigen. Würde sich Muße in diesem Fall darauf reduzieren, als Glücksimplantat, das unter die Haut eingepflanzt werden kann und damit grundsätzlich als eine von irdischem Schmerz und Leid befreite sowie der Vergänglichkeit enthobene Daseinsform zu begreifen?

Es scheint, als zielten transhumanistische Forschungsansätze darauf, die menschliche Existenz sowohl von den Lasten der zumindest körperlichen Arbeit durch Digitalisierungsprozesse als auch vom imperfekten menschlichen Körper mittels medizinischer Interventionen von Krankheiten, Alterungsprozessen und Tod befreien zu wollen.
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Im Kritischen Posthumanismus hingegen wird gerade nicht eine solche Überwindung des Körpers und eine ’Connectedness‛ mit dem Worldwide Web angestrebt, sondern Formen leiblich zu erfahrender Verbundenheit etwa in Worldwide Woods anvisiert. Erforscht werden Praktiken der Selbstsorge ebenso wie eine (Für-)Sorge anderen Organismen und der Umwelt gegenüber, die in skeptischer Distanz zu technoiden Optimierungsvorstellungen konzipiert werden.

Muße ließe sich sodann als Eskapismus aus einem digitalen Panoptikum und aus funktionalistischen Sichtweisen auf Körperlichkeit verstehen. In diesem Sinn erklären posthumanstische Ansätze menschliche Arbeit nicht per se für obsolet, sondern reflektieren Formen eines nachhaltigen und gerechten Anerkennungsverhältnisses von sowohl produktiven wie reproduktiven, von ebenso kreativen wie lebenserhaltenden Tätigkeiten. Dabei wird über das Wechselverhältnis von digitalen und analogen Prozessen sowie off- und online-Kulturen nachgedacht.


Abb. aus Avatar 2009.
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Während der eine Ansatz technikaffin auf eine Transzendenz des menschlichen Körpers – nichtzuletzt durch die Entwicklung künstlicher Intelligenz – zielt, hebt der andere Ansatz die Immanenz, das heißt die irdische Verbundenheit und damit einhergehende Verletzlichkeit menschlicher ebenso wie nicht-menschlicher Organismen ins Bewusstsein.

Durch letzteren Ansatz werden Fragen aufgeworfen, nach „einer anthropologischen Bestimmung der Muße als Chance der Freiheit, die menschliche Endlichkeit nicht aussetzt, sondern Enklaven der Verfügbarkeit angesichts der manifesten Macht des Unverfügbaren schafft“ und damit ein „eminent politisches Potential [besitzt].“ (Hasebrink & Riedl 2014, 6)

Aufeinander verwiesen lassen sich beide Positionen durch ethische Überlegungen über ein gutes Leben und Vorstellungen vom Glück, eudomomia, diskutieren.
Läßt sich Muße in diesem Sinn als eine „grundlegend ethische Herausforderung“ (Dobler & Riedl 2017, 3) denken, wie es Gregor Dobler und Peter Philipp Riedl in Rückbezug auf ein 1930 von John Maynard Keynes publiziertes utopisches Essay in der Einleitung zu Muße und Gesellschaft bezeichnen?

Die Frage wäre, wie im 21. Jahrhundert Vorstellungen vom guten Leben, von Glück und Genuss konzipiert werden? Welche Rolle spielt Arbeit, politische Teilhabe, welche der Körper, welche das Bewusstsein und wie wird ihr Verhältnis zueinander gedacht?

Sowohl post- als auch transhumanistische Ansätze regen zu einer dezidierten Auseinandersetzung mit humanistischen Idealen an und werfen die Frage auf, in welchem Verhältnis diese Ansätze zu Muße-Vorstellungen stehen können. Sie setzen jedoch unterschiedliche Akzente: Es werden divergierende Gesellschaftsanalysen sowie Lösungsansätze auf Problemstellungen anvisiert. Einer Fokussierung auf Technikentwicklung, Digitalisierung, Robotik und KI-Forschung steht eine Betonung der (Selbst-)Fürsorge, des Konsumverzichts, Minimalismus und der Wachstumskritik gegenüber. Damit wird deutlich, welche Bandbreite sich eröffnet, wenn es in zeitgenössischen Diskursen darum geht, nach einem guten, genussvollen und gelingenden Leben, das heißt nach Glück, eudomomia, zu fragen.

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Körper-Praktiken

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Auf einer empirischen Ebene befassen sich einige Teilprojekte mit Muße-Praktiken. Diese können als Praktiken des Selbst bezeichnet werden, über die (Selbst-)Fürsorge sowie historisch geformte und interkulturell vermittelte Körpertechniken ausgestaltet werden.

Dazu gehören einerseits solche Handlungen, die Momente der Konzentration, der Betrachtung und inneren Einkehr unterstützen: Atem- und Achsamkeitsübungen, rituelle und repetitive Tätigkeiten, aber auch Lesen und Schreiben.
Andererseits gehören dazu solche Handlungen, die den Körper in Bewegung versetzen und die Sinne explizit aktivieren: beim Flanieren durch die Stadt oder beim Waldspaziergang, durch Yogapraktiken, achtsamkeitsbasierte Gehmeditationen, ekstatisches Gebet und Gesang oder durch den Besuch von Museen, Kaffeehäusern, Gärten und außergewöhnlicher – sakraler wie auch profaner – Architekturen.

Es sind dies Praktiken, die sich sowohl innerlich als auch äußerlich, intrinsisch wie extrinsisch ausformulieren: durch aktive Hinwendung zu sich selbst, eine bedingungslose oder radikale Situierung, das heißt eine kathartische Konzentration auf den Augenblick sowie eine präsentische Erfahrung eines Erlebnisraums, in dem unterschiedliche Handlungen vollzogen werden können. Das bedeutet, für die Erfahrung von Muße ist eine Resonanz mit sich selbst ebenso ausschlaggebend wie die mit einer jeweils spezifischen Umwelt (vgl. Rosa 2016). Dabei spielt eine – wie auch immer als gelungen zu beschreibende – körperlich-sinnliche Einbettung in den Umraum eine entscheidende Rolle. Dadurch intensiviert wird die Wahrnehmung seiner selbst, anderer und der Umgebung, wodurch ein Frei- und Möglichkeitsraum eröffnet wird. Die besondere Raumzeitlichkeit von Muße kann transgressive Qualitäten, das heißt das Selbst und die Situation transformierende Kräfte hervorbringen. Dabei lässt sich Muße mit Sicherheit nicht quantifizieren, jedoch kann durchaus eine Annäherung daran stattfinden, welcher inneren und äußeren Bedingungen es bedarf, damit Phänomene beschreibbar werden, die als mußevoll erfahren werden. Wie die an ästhetischen und literarischen Fragen orientierten Teilprojekte zeigen können, ist dabei interessant, inwiefern sich diese Phänomene als aisthetische Erfahrungen vermitteln, die als Selbstzweck mit Glück identifiziert werden. Im Altgriechischen bedeutet αἴσθησις aísthēsis „Wahrnehmung“, „Empfindung“ und bezeichnet damit die Lehre von der Wahrnehmung beziehungsweise von der sinnlichen Anschauung. Aisthetisch ist demnach alles, was die Sinne bewegt, wenn ein Mensch etwas betrachtet oder erfährt.







Abb.: Walking artist Hamish Fulton. Penzance Beach
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Körpertheorie und Performativität

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Einerseits ist der Körper „Produkt von Gesellschaft insofern, als die Umgangsweisen mit dem Körper, das Wissen und die Bilder von ihm sowie das Spüren des Körpers von gesellschaftlichen Strukturen, Werten und Normen, Technologien und Ideensystemen geprägt sind.“ (Gugutzer 2004, 6, vgl. Tabelle 1, aus: Gugutzer, Klein & Meuser 2016, 155) 
Andererseits ist der Körper Produzent von Gesellschaft dergestalt, „dass soziales Zusammenleben und soziale Ordnung entscheidend von der Körperlichkeit sozial handelnder Individuen beeinflusst sind: Insofern soziale Wirklichkeit aus sozialem Handeln resultiert und soziales Handeln immer körperliches Handeln ist, tragen körperliche Handlungen zur Konstruktion sozialer Wirklichkeit bei.“ (Gugutzer 2004, 6, 7, vgl. Tabelle 2, aus: Gugutzer, Klein & Meuser 2016, 156).

„Wenn menschliches Handeln als aufführendes kulturelles Handeln, als cultural performance, begriffen wird, so ergeben sich daraus Veränderungen für das Verständnis sozialer und erzieherischer Prozesse. In diesem Fall finden die Körperlichkeit der Handelnden größere Aufmerksamkeit. Soziales Handeln ist mehr als die Verwirklichung von Intentionen. Dieses ‚Mehr‘ besteht in der Art und Weise, in der Handelnde ihre Ziele realisieren. Trotz einer intentional gleichen Ausrichtung von Handlungen zeigen sich in dem Wie, dem modus operandi ihrer Durchführung, erhebliche Unterschiede. Zu den Gründen dafür gehören einerseits historische, kulturelle und soziale Rahmenbedingungen, andererseits besondere, mit der Individualität der Handelnden verbindene Merkmale. Das Zusammenwirken der beiden Faktorengruppen erzeugt die Komplexität sozialen Handelns.“ (Wulf, Göhlich & Zirfas 2001, 9)


Abb. aus: Körper von Sasha Waltz
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Spannungsfelder

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In der zweiten Förderphase wird bislang immer wieder eine Spannung thematisiert, die sich aufbaut zwischen: einerseits den theoriegeleiteten, historisch-vergleichenden Teilprojekten sowie andererseits empirischen und auf ästhetische Fragen hin ausgerichteten Teilprojekte. Methodisch, zum Teil auch gesellschaftsanalytisch werden hier Diskrepanzen thematisiert, die noch deutlicher ausformuliert und damit auch fruchtbarer gemacht werden sollten. Denn, so meine Behauptung, Muße lässt sich nur in der Trias von theoretischer Betrachtung, Empirie und ästhetischer Wahrnehmung erforschen. Diese unterschiedlichen Dimensionen stehen in einem notwendigen Spannungsverhältnis, das sich aus der Geist-Seele-Problematik speist. Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik zentral zu setzen, erscheint mir von daher als äußerst sinnvoll. Methodisch ebenso wie theoretisch bedeutet das für alle drei Forschungsbereiche noch Fragen stärker danach zu verfolgen, in welchem Verhältnis:

  • Theoria, die kontemplative Betrachtung von Muße, zu ihrem Erleben und Wahrnehmen steht,
  • sich die Praxis wiederum zum Ideal und Begriff, das heißt zu Muße-Semantiken, und ihrer Auffassung des Leib-Seele-Dualismus verhält sowie
  • in welcher Weise die (ästhetische) Wahrnehmung geformt und beeinflusst ist durch jeweils spezifisch kulturell geprägte Vorstellungen des Theorie-Praxis-Verhältnisses.

Abb.: Torre David, a 45-story office tower in Caracas designed by the distinguished Venezuelan architect Enrique Gómez, was almost complete when it was abandoned following the death of its developer, David Brillembourg, in 1993 and the collapse of the Venezuelan economy in 1994. Today, it is the improvised home of a community of more than 750 families, living in an extra-legal and tenuous occupation that some have called a vertical slum. Urban-Think Tank, spent a year studying the physical and social organization of this ruin-turned-home. Where some only see a failed development project, U-TT has conceived it as a laboratory for the study of the informal. In their "Torre David / Grand Horizonte" exhibit and in their forthcoming book, Torre David: Informal Vertical Communities, the architects lay out their vision for practical, sustainable interventions in Torre David and similar informal settlements around the world. They argue that the future of urban development lies in collaboration among architects, private enterprise, and the global population of slum-dwellers. This film is a call to arms to architects and everyone--to see in the informal settlements of the world a potential for innovation and experimentation, with the goal of putting design in the service of a more equitable and sustainable future. More information at: www.torredavid.com and www.u-tt.com

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„Es ist mehr Vernunft in deinem Leibe, als in deiner besten Weisheit.“

                   Friedrich Nietzsche
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Das voangegangene Nietzsche-Zitat ist dem Vorwort des Bandes „Philosophie der Verkörperung“ mit Grundlagentexten zu aktuellen Debatten von Jörg Fingerhut, Rebekka Hufendiek und Markus Wild vorangestellt. Darin betonen die Autor*innen, dass die Philosophie der Verkörperung kein Spezialthema sei, sondern im Gegenteil. „Die Frage nach der Rolle, die unser Körper für das Denken, die Wahrnehmung, das Bewusstsein und unser gesamtes In-der-Welt-Sein spielt, betrifft viele Disziplinen, darunter die Kognitionswissenschaft, die Kunst- und Kulturwissenschaft, die Neurowissenschaft, die Psychologie oder die Soziologie.“ Dabei vertreten sie die Ansicht, „dass der Körper eine weit größere Rolle spielt, als wir bislang angenommen haben. Während der Geist heutzutage nicht mehr ohne Körper auskommt, ist die Philosophie des Geistes ohne Interdisziplinärität undenkbar geworden.“ (Fingerhut et al. 2013,7)
Weiter gehen sie in ihrer Einleitung näher darauf ein, inwiefern der Körper im Zentrum ihrer interdisziplinären Bestrebungen steht. Sie schreiben: „(…) sowohl die kognitiven als auch die geistigen Zustände und Prozesse von Lebewesen – insbesondere auch von uns Menschen – [sind] intrinsisch verkörpert und als solche wesentlich in eine Umwelt eingebettet. Es ist die Beschaffenheit unseres Körpers, die uns intelligent macht. Der Körper ist nicht nur ein Instrument zur Ausführung von vorgefassten Absichten oder zur Erfüllung von gehegten Wünschen. Es ist die eingespielte und lang erprobte Einbettung des Körpers in eine strukturierte und an uns angepasste Umwelt, die uns als intelligente Wesen ausmacht. Diese Intelligenz versteckt sich nicht im Innenraum des Bewusstseins und des Denkens, sondern sie ist die gelebte Intelligenz unserer geschickten Bewegungen und eingeübten Tätigkeiten und sie liegt in unserer Welt bereit. Der Geist selbst muss als etwas in den Körper und in die Umwelt Ausgedehntes verstanden werden.“ (Fingerhut et al. 2013, 9)
Dem entsprechend gehen sie in ihrem Buch näher auf das sogenannte „4E-Modell“ ein. In diesem Kontext zentral stehen vier Begriffe: Verkörperung [embodiment], Einbettung [embedded cognition], Enaktivismus [enactivism] und ausgedehnter Geist [extended mind].

Das 4E-Modell behauptet keine Trennung zwischen Geist und Welt, sondern die Kognition wird als eine sensomotorische Interaktion mit der Umwelt begriffen. Das bedeutet, dass Wahrnehmung nicht als passiv sowie Wahrnehmung und Handeln als untrennbar miteinander verbunden verstanden werde. Beide entwickelten sich in Rückbezug aufeinander, so dass von Prinzipien einer „sensomotorischen Kopplung“, nach der die Struktur des Körpers das Handeln sowie die Wahrnehmung und Welt bestimme. (vgl. Schmidt 2017; Fendel/Schmidt et al. (2019)).

Verweisen Muße-Konzeptionen mitten ins Zentrum des Leib-Seele-Wechselverhältnisses und eignen sich gerade deshalb in idealer Weise anthropologische Reflexionen im 21. Jahrhundert gegenwartsbezogen und zukunftsweisend zu behandeln? Wie ist das Selbst, das sein Erleben als Muße begreift, zu verstehen ist: Löst es sich immersiv im Umraum auf (ob im virtuellen oder realen Umraum), erfährt es Transformation und ist dies ein Vorgang der Immanenz oder Transzendenz oder nicht vielmehr eine Bewegung im sowohl-als-auch?



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Muße wider den Logozentrismus – eine Frage der Gerechtigkeit? 
       
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